Vorträge

Die Geldumschlagsdauer - ein Fall für die Digitalisierung

Prof. Dr. Ludwig Mochty
Universität Duisburg-Essen

Die Geldumschlagsdauer charakterisiert die Dauer, wie lange liquide Mittel im Betriebsprozess (working capital cycle) gebunden sind. Das Zeitintervall gibt an, wie lange es dauert, Geld in Güter und Leistungen umzuwandeln und durch deren Verkauf als Geld wiederzugewinnen (cash conversion cycle, cash-to-cash). Die Geldumschlagsdauer ist eine wichtige Kennzahl zur Beurteilung der Unternehmens­liquidität und die Entscheidungsgrundlage für das Working Capital Management. Sie setzt sich aus der Umschlagsdauer des Lagers und der Umschlagsdauer der Lieferforderungen zusammen (operating cycle), von deren Summe die Umschlagsdauer der Lieferverbindlichkeiten abgezogen wird. Ihre Analyse provoziert die vermeintlich naive Frage, was eine Buchhaltungskennzahl Umschlagsdauer in prozeduraler Hinsicht tatsächlich misst.

Im vorliegenden Beitrag wird anhand einer Excel-Simulation am Beispiel der Lieferforderungen nachgewiesen, dass die Buchhaltungs-Umschlagsdauer die tatsächliche (prozedurale) Umschlagsdauer erheblich über- oder unterschätzt, und es werden die Ursachen für diese Verzerrung identifiziert. In einem weiteren Schritt wird gezeigt, dass der üblicherweise verwendete gewichtete arithmetische Mittelwert, bezeichnet als „mittlere Umschlagsdauer“, zu Fehlinterpretationen verleitet, was durch die Verwendung von kumulativen Wahrscheinlichkeitsverteilungen leicht vermieden werden kann, denn diese geben an, wie lange es dauert, bis beispielsweise 50% oder 95% der Lieferforderungen bezahlt sind. Zur Weiterentwicklung dieser Analyse mit Hilfe der in der Medizin verwendeten Überlebensanalyse (survival analysis) und der Warteschlangentheorie (queueing theory) ist es dann nur noch ein kleiner Schritt.

Um die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Umschlagsdauern korrekt und unverzerrt schätzen zu können, genügt es nicht, auf aggregierte Kontensalden aus der Buchhaltung zuzugreifen. Es ist der Zugriff auf die Anfangs- und Endzeitpunkte der individuellen Zeitintervalle erforderlich. Obwohl diese in den ERP-Systemen wie SAP, Navision und Oracle selbstverständlich erfasst sind, ist ihr Abruf vorerst das Geheimnis einiger weniger Spezialisten und bleibt damit bis auf Weiteres– ein Fall für die Digitalisierung (process mining).